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Die Frage, wer man, politisch gesehen, ist (oder sein will), entscheidet über vieles. Die Partei, die Arbeitsgruppen, die Fraktion, die Karrierechancen…

In einem Wahljahr wie diesem denke ich viel darüber nach. Ich habe gemerkt, dass meine politische Identität eher einer gespaltenen Persönlichkeit gleicht.

Wie Menschen eingeordnet werden

Der bekannteste Weg zur schnellen Einordnung ist das Rechts-Links-Schema. Ursprünglich kommt es aus der Sitzordnung des Parlamentes in der Frankfurter Paulskirche. In dieser saßen die Abgeordneten konservativer Parteien rechts, während die progressiven Parteien eher links angesiedelt waren.

Das Schema hat bis heute überlebt. So (war) ist die CDU tendenzielle eine rechte (konservative) Partei, die SPD dagegen eher eine linke (progressive) Partei. Andere haben diese Einordnung sogar im Namen, beispielsweise die Linkspartei.

Dazwischen gibt es, zumindest in der Geschichte der Bundesrepublik, noch die Mitte, in der traditionell die liberale Partei zu finden ist. Mit dem Übergang zu einem Parteiensystem, in dem mehr als drei regelmäßig vertreten sind, gibt es eine beobachtbare Tendenz dazu, dass auch die großen Parteien versuchen, sich eher als „mittig“ einzuordnen, um damit möglichst viele Wähler anzusprechen. Das ist aber nicht Thema dieses Beitrags – vielmehr geht es mir, ganz egoistisch, um mich.

Ich war mal Mitte – was bin ich jetzt?

Ein kleiner Disclaimer vorab, ich war mal Mitglied der FDP, bin jedoch im inhaltlichen Streit um Datenschutzfragen aus der Partei ausgetreten.

Seitdem beobachte ich Debatten als politisch interessierter (und oft verdrossener) Bürger. Als Nachfolger und Unternehmer werden mir, ganz vorurteilsgemäß, bestimmte Positionen von Vornherein von Dritten unterstellt. So muss ich in dieser Rolle qua Amt für die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, gegen Sozialleistungen und gegen Steuern und Abgaben sein. Und vieles weitere mehr.

Schade nur, dass diese Vorurteile Quatsch sind. Ich würde jetzt gerne sagen, „meine Identität ist … “, allerdings kann ich auch das nicht. Denn es ist nicht eindeutig. In einigen Positionen bin ich konservativ (z. B. in der Frage, welche Anforderungen an Zuwanderung zu richten sind), in anderen klar liberal (insbesondere was die persönlichen Freiheits- und Abwehrrechte gegenüber dem Staat anbelangt), und in wieder anderen bin ich links (ich bin zum Beispiel Verfechter des Mindestlohns, und auch des bedingungslosen Grundeinkommens).

Pragmatismus und Überzeugungen – sind sie widersprüchlich?

Was bedeutet das nun für die Debatte? Zum einen bedeutet es, dass ich mich mit Parteien schwer tue. Klar, es gibt innerparteiliche Demokratie (meistens). Das Abstimmungsverhalten zeigt aber auch, dass es dann eben doch keine Gewissens-, sondern eine Fraktionsfrage ist.

Zum anderen bedeutet es für mich, dass der Rechts-Links-Narrativ ausgedient hat, denn in Gesprächen merke ich, dass diese Beobachtung nicht nur auf mich zutrifft.

Ein überzeugter Parteiangehöriger, egal welcher Partei, mag das als opportunistisch oder prinzipienlos sehen. Ich sehe es dagegen eher als Pragmatismus – oder das Prinzip, vernünftige Dinge nicht abzulehnen, nur weil sie nicht aus dem richtigen Mund kommen. Ich wünschte mir, die Politik könnte diesen Schritt auch tun. Eindimensionale Kategorien helfen uns nicht bei der Gestaltung einer multidimensionalen Wirklichkeit.

Das Thema Rente kam ja bei der Wahl kaum vor, bis auf die Frage des Eintrittsalters. Kurzer Disclaimer, ich schreibe diesen Beitrag einen Tag nach dem TV-Duell zwischen Martin Schulz und Angela Merkel.

Ich bin auch definitiv kein Experte für das Thema. Das heißt, alles was ich sage ist aus Sicht eines Laien und mit dem Versuch, gesunden Menschenverstand als Ersatz für mein mangelndes Fachwissen einzusetzen.

Eine Bestandsaufnahme

Für mich stellt es sich beim Thema Rente wie folgt dar:

  • Die staatliche Rente hat immer weniger Einzahler und immer mehr Bezieher mit steigender Lebenserwartung
  • Ergo gibt es drei Optionen, damit umzugehen:
    • Das Rentenniveau sinkt
    • Das Eintrittsalter steigt
    • Man benötigt zusätzliche Optionen
  • Es zahlen im Prinzip nur Arbeitnehmer ein, Selbständige und Beamte laufen komplett nebenher, oft auch deutlich besser gestellt
  • Rein mathematisch kann das, auch ohne Expertenkenntnisse, ja nicht auf Dauer gut gehen
  • Wenn die erwartete Rentenhöhe unter Grundsicherungsniveau ist, gibt es eigentlich keinen Grund, überhaupt darin einzuzahlen, der Antrag auf Grundsicherung ist dann die „attraktivere“ Option und erlaubt wenigstens mehr „Luxus“ in der Gegenwart

Das war jetzt sicher nicht alles, aber zumindest das, was ich, erst einmal, wahrnehme. Ich kann ja nur für mich sprechen, und da sehe ich, dass die Rentenansprüche, die ich so im meinem Umfeld höre, meine eigenen und die meiner Frau, eben alle aus meiner Generation, absolut lächerlich sind. Wenn wir keine Grundsicherung wollen, müssen wir mehr tun. Manche Optionen scheinen auch mathematisch (Rendite!) deutlich attraktiver auf lange Sicht, als die Einzahlung in die staatliche Rente.

Was wäre denn wirklich gerecht?

Im Wahlkampf kommt, gerade bei Rente, oft das Wort „Gerechtigkeit“ auf den Tisch. Frau Nahles, unsere (noch) Arbeitsministerin zum Zeitpunkt des Schreibens, schlug vor einiger Zeit vor, auch Unternehmer und Selbständige einzahlen zu lassen. Nun kann ich, als Betroffener, einfach aufheulen und dagegen argumentieren (können sich viele Selbständige gar nicht leisten, völlig unattraktiv, noch mehr zahlen für die Gemeinschaft bei schon riesiger Belastung, etc.)… oder ich kann fragen, was wirklich gerecht wäre.

Und das wird insbesondere Frau Nahles nicht gefallen. Die ist nämlich, obwohl sie noch nie etwas anderes als Politik gemacht hat, bestens und üppig versorgt. Weit besser, als ihre klassische Wahlklientel es jemals schaffen kann.

Wirklich gerecht für mich wäre, wenn nämlich auch der gesamte öffentliche Dienst in die gleichen Kassen einbezahlen, und auch von dort entnehmen. Natürlich dann auf wesentlich niedrigerem Niveau als aktuell. Es macht mich, ehrlich gesagt, sauer zu hören, dass gerade die eigene Gruppe bevorzugt sein soll, während man gleichzeitig laut von Solidarität und Gerechtigkeit schwadroniert.

Echte Gerechtigkeit heißt eben, dass auch die eigene Klientel dazu gehört

Von mir aus können gerne auch Unternehmer und Selbständige dann einzahlen. Wenn alle einzahlen sollen, heißt das eben auch alle. Von mir aus sollen Beamte dann auch in der Gegenwart besser bezahlt werden (ein beliebtes Argument zur Rechtfertigung der teils satten Pensionen – die Jobgarantie, absolute Sicherheit von allen Lebensumständen und -risiken, wird nicht so gern als geldwerter Vorteil gesehen, so scheint es mir). Es ist auch nicht unmöglich, das zeigt sich am Beispiel anderer Länder – nur für diejenigen, die es umsetzen müssen, gerade nicht attraktiv.

Und die bereits einmal geäußerte Gegenargumentation, dass dadurch kein Vorteil existiert, weil die Beamten ja dann auch entnehmen… das mag sein. Aber erstens gibt es keine Option mehr, es auf dem gleichen Niveau zu tun (das funktioniert mathematisch nun wirklich gar nicht, selbst für einen Laien wie mich), und zweitens sprechen wir doch über Gerechtigkeit. Wenn alle, dann wirklich alle. Nicht immer nur ausgeben, sondern auch mal dazu einen eigenen Beitrag leisten. Das könnte auch dazu beitragen, die teils sehr gegensätzlichen Lebensrealitäten mal langsam wieder anzunähern. Ich denke, das würde dem politischen Betrieb wirklich gut tun.

Die Solidarität von anderen zu fordern ist eine tolle Gelegenheit, mit gutem Beispiel voranzugehen. Klick um zu Tweeten

Vielleicht könnte man dann bei der Gelegenheit auch mal kurz über unser Krankenversicherungssystem nachdenken, und das auch gerade vereinheitlichen. Niveau anheben, es fällt ja auch dann viel Aufwand und Bürokratie weg…das würde vielen Menschen helfen.

Der Besuch einer Podiumsdiskussion ist für Unternehmer und Nachfolger eigentlich Alltag. Weniger alltäglich ist es, selbst Teil des Podiums zu sein. Ich habe im letzten Jahr diese Erfahrung gemacht. Ich habe auch einige falsche Erwartungen daran. Vor diesen will ich Dich gerne bewahren, indem ich darüber einen (kurzen) Blogeintrag schreibe.

Der erste Fehler: Ich dachte, es ginge um das Thema

Mein erster Denkfehler war gleich der schwerwiegendste. Ich dachte nämlich, bei einer Podiumsdiskussion geht es um das angekündigte Thema. Angesichts des Ablaufs des Abends würde ich das mittlerweile kategorisch verneinen. Ich hatte mich gut vorbereitet, mich in aktuelle Artikel zum Thema eingelesen, mir meine eigenen Gedanken dazu gemacht… alles, was mir sinnvoll erschien.

Allerdings war ich damit (fast) alleine. Von dem, was ich mir an zentralen Thesen überlegt hatte, konnte ich exakt eine nennen, nicht einmal ausführen. Alles andere war verschwendete Zeit. Immerhin, das Leid teilten auch ein oder zwei andere Teilnehmer. Wenn man es genau nimmt, alle außer den beiden Politikern im Podium. Dass es soweit kam, lag auch am Stil.

Mein zweiter Fehler: Ich dachte, eine Podiumsdiskussion bedeutet Gespräch

Wenn ich an Diskussionen denke, habe ich wechselnden Austausch von Argumenten vor meinem inneren Auge. Was ich nicht damit verbinde, war der tatsächliche Ablauf: Statt nämlich eine These zu diskutieren (auf einem Podium gerne auch mit wechselnden Positionen, repräsentiert durch die verschiedenen Teilnehmer) wurde nicht eine These jemals diskutiert.

Jedes Mal, wenn die Chance bestand, begann ein langer Monolog eines Teilnehmers, der vielleicht bei einer These begann (sagen wir beispielsweise „Lehrer sind überlastet.“), und dann nach 10 Minuten bei etwas völlig anderem ankam (um im Beispiel zu bleiben: „Wussten Sie schon, dass das Paarungsverhalten der nordafrikanischen Schwarzameise große Ähnlichkeit mit dem Backen einer Schwarzwälderkirschtorte aufweist?“). Bis dahin hatte jeder im Raum den Ausgangspunkt vergessen. Vorausgesetzt, er oder sie war noch wach. Dazu trug die dritte Beobachtung maßgeblich bei.

Meine dritte Erkenntnis: Podiumsdiskussionen stehen und fallen mit der Moderation

Ich halte Moderation für unheimlich wichtig, und an diesem Tag wurde es bewiesen. Es ist kein großes Geheimnis, dass Politiker gerne mal mehr und durchaus auch gemäß ihrer eigenen Agenda reden. Umso wichtiger ist eine konsequente Moderation. Was meine ich damit?

Nun, das beginnt bei der Einhaltung der angekündigten Redezeiten für die Impulse – das ist nicht passiert, kein Impuls wurde direkt oder indirekt unterbrochen. Das Ergebnis: Statt eines Impulses gab es eine Wahlkampfrede von im Schnitt doppelter Dauer, mit homöopathischem Bezug zum Thema des Abends.

Es geht weiter bei der Gestaltung einer Diskussion. Statt nacheinander Podium und Publikum abzuarbeiten gehört es dazu, Diskussion zu ermöglichen, indem auch mal ein Austausch zu einem Punkt passiert. Fazit des Abends: Zu keinem Zeitpunkt in rund drei Stunden gab es jemals die Möglichkeit, nach These und Gegenthese (egal in welcher Qualität) noch einmal zu antworten – weil die Moderation das konsequent unterbunden hat. Und nein, das ist keine Übertreibung zur Veranschaulichung. Nicht ein einziges Mal!

Und es geht auch um die repräsentative Gestaltung der Redeanteile. Wenn man fünf Personen im Podium hat, aber deutlich mehr als 80% (nein, auch das ist leider nicht übertrieben) der Redeanteile auf die zwei Politiker entfällt, stimmt etwas nicht.

Last, but not least, mindestens die Moderation sollte das Thema des Abends im Kopf haben und es auch mit gezielten Fragen vorantreiben. Du ahnst es sicher: Fehlanzeige. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Hätte man an dem Abend einen Kleiderständer nach vorne gestellt, wäre die Moderation weder besser noch schlechter gewesen. Sie war schlicht nicht existent.

Was will ich Dir damit sagen?

Es ist völlig klar und auch sinnvoll, das Podien mit bestimmten Rollen im Hinterkopf besetzt werden. Es schadet auch nichts, in einer dieser Rollen mal zu polarisieren.

Meine Rolle an diesem Abend war aber nicht, wie angekündigt, die des Unternehmers und Arbeitgebers, sondern die des Steigbügelhalters Schrägstrich Wahlkampfhelfers und Zielscheibe für ziemlich falsche Unternehmerstereotype. „Lustig“, dass die ausgerechnet durch einen Politiker vorangetrieben werden, dessen Einkommen und Altersvorsorge ich durch meine Arbeit mit zahle. Angesichts dieses verschwendeten Abends zu einem eigentlich unheimlich wichtigen Thema braucht sich niemand zu wundern, wenn Menschen wie ich politikverdrossen sind.

Was ist nun mein konkreter Rat an Dich als Teilnehmer? Ich habe zwei. Erstens, sei Dir Deiner Rolle bewusst und leb damit – oder sag ab. Und zweitens, informiere Dich vorher intensiv über Veranstalter, Moderation und deren Verbindungen. Dann bleibt Dir das frustrierende Debakel vielleicht erspart.

Und für Dich als Veranstalter? Such Dir eine fähige, durchsetzungsstarke und informierte Moderation. Damit steht und fällt die inhaltliche Qualität Deiner Veranstaltung. Außer natürlich, die war Dir von Vornherein egal.

Na, hast Du das vielleicht auch schon einmal erlebt? Als Gast, Veranstalter oder Mitwirkender? Erzähl mir davon in den Kommentaren, alternativ per Mail!

Der Titel mag belustigend klingen, für mich ist Politikverdrossenheit aber ein sehr reales und damit trauriges Thema. Denn eigentlich ist mir Politik sehr wichtig. Ich komme aus einem politisch interessierten Haushalt. Das hat sicherlich dazu beigetragen. Wir haben am Küchentisch oft politische Themen besprochen und darüber diskutiert. Mein „Aha“-Erlebnis war allerdings ein Buch.

Ein Freund aus England gab mir Hidden Agendas von John Pilger zu lesen. Nun stimmte ich schon damals nicht politisch mit dem Autor überein. Das spielte aber keine Rolle. Wichtiger war, mit welcher Überzeugung er diese Themen, die nicht im Fokus der Politik standen, befeuerte. Spätestens da war mir klar, welche Macht (und Obligation) Politik hat, nämlich Zukunft zu gestalten. Und mir war klar, dass ich Journalist werden wollte und damit meinen Teil beitrage. Unrecht aufdecken und bekämpfen, als vierte Macht im Staat mit gestalten und Wissen verbreiten.

Voll auf Kurs

Der Entschluss stand also recht früh fest, und das zum Leidwesen meiner Eltern („Brotlose Kunst“ – in manchen Punkten sind alle Eltern, denke ich, gleich): Ich würde Politik studieren. Der Politik-Leistungskurs war natürlich Pflicht. Die Auseinandersetzungen darin geradezu episch. Stundenlang wurden politische Themen heiß diskutiert. Unsere Lehrerin, die ganz neu an der Schule war, hatte an manchen Tagen ihre liebe Mühe, uns zu bändigen.

Nach dem Wehrdienst ging ich, wie geplant, studieren. Politik natürlich. Dass ich nicht Journalist wurde, liegt zu großen Teilen daran, dass ich stattdessen plötzlich Nachfolger war und darin eine riesige Chance gesehen habe, etwas wichtiges zu erhalten und weiter zu entwickeln. Zukunft zu gestalten, also, im kleinen Umfang. Mein Interesse an dem Thema hat es nicht geschmälert. Zumindest anfangs nicht.

Gestaltung? Nein danke!

Mittlerweile ist das anders. Die Zukunft zu gestalten ist für mich der zentrale Aspekt, das Ziel guter Politik. Und davon sehe ich seit vielen Jahren effektiv nichts. Stattdessen verwaltet eine Gruppe Menschen, die zudem noch relativ homogen ist (jedenfalls homogener als die Bevölkerung), die Gegenwart. Von allen wichtigen Zukunftsthemen hält man sich, so mein Eindruck, so fern es geht. Denn die nächste Wahl steht meist direkt bevor. In Kommune, Land oder Bund, irgendwo ist immer Wahl – und damit ein Grund, lieber die „low hanging fruits“ zu greifen. Nur ist das nicht der Anspruch, den ich an Politik habe. Ich wünsche mir Menschen, die auch auf die Gefahr hin, nicht mehr gewählt zu werden, das richtige tun. Das, was notwendig ist, damit die Zukunft besser wird. Stattdessen erlebe ich seit Jahren faktischen Stillstand.

Mir ist, als Politologe, völlig klar, dass Kompromisse Bestandteil einer Demokratie sind. Als Unternehmer und Nachfolger spricht für mich auch nichts gegen kleine Schritte. Aber natürlich nur unter der Bedingung, dass es immer wieder kleine Schritte sind. Iterativ ist in Ordnung, per Definition bedeutet das aber auch, dass ein Schritt nach dem anderen kommt, nicht dass der kleine Schritt das abschließende Endergebnis großer Verhandlung ist.

Der kleine Schritt darf nicht das abschließende Endergebnis der großen Verhandlung sein. Klick um zu Tweeten

Realität und Politik sind offensichtlich zwei Welten

Hinzu kommt das Gefühl, dass Berufspolitiker generell in einer eigenen Sphäre schweben. Diese hat nur recht wenig mit meiner Lebensrealität zu tun. Das ist, teilweise, in allen Berufen so. Allerdings ist Politik eben nicht ein Beruf wie jeder andere. In einer repräsentativen Demokratie sollen diese Menschen die Bevölkerung vertreten. Insofern dürfen sie nicht völlig abgekoppelt sein, um diese Aufgabe zu erfüllen.

Beispiele gibt es dafür zuhauf. Ich ärgere mich, wenn aufgrund politischer Erwägungen die eigenen Werte oder Ankündigungen komplett unterlaufen werden. Die Begründung, es gäbe politische Realitäten, kann ich nicht akzeptieren. Wo ist denn die rote Linie, die vorher immer wieder versetzt wurde, wenn nicht dort, wo unsere Kernwerte in Frage stehen? Was ist, wenn ich als normaler Bürger so handele? Oder als Unternehmer? Dann bin ich völlig unglaubwürdig. Ich wünsche mir zumindest den Anstand, dass das, was gesagt wird, dann auch getan wird. Dieser fehlt mir seit Jahren.

Oder die Frage von Einnahmen und Ausgaben. Als normaldenkender Mensch ist mir klar, dass ich beides im Lot halten muss. Dank der niedrigen Zinsen ist unser Haushalt ja auch gerade wieder dort – und statt diese tolle Lage auszunutzen, wird über die nächste Erhöhung von Steuern, Abgaben oder Gebühren gesprochen. Es ist völlig inakzeptabel, dass auf der Ausgabenseite immer weiter erhöht wird, statt mal dort anzusetzen. Einsparpotenziale gäbe es wahrlich genug. Das zeigt das Schwarzbuch des Steuerzahlerbunds jedes Jahr, und der gesunde Menschenverstand auch. Ich zahle für alles mögliche Steuern und Gebühren, und ich zahle sie gerne. Denn es gibt in diesem Staat eine funktionierende und gute Infrastruktur. Zudem biete ich Menschen Arbeit und ermögliche somit auch anderen, Steuern zu zahlen. Das ist alles schön und gut, aber das Maß ist, für meine Begriffe, voll. Es gibt unendlich Einsparpotenziale. Und eines davon ist das System selbst.

Selbstverstärkendes System Politik

Politik ist ein Beruf. Ob das richtig ist, sei dahingestellt. In einer idealen Welt fände ich es gut, wenn es Berufung ist. Bleiben wir in der Realität, hat das aber Implikationen. Da Politiker über maßgebliche Dinge entscheiden (als Beispiele seien nur mal Posten, Aufträge oder Diäten genannt), die unmittelbar sie selbst betreffen, ist die Ausgabenspirale ein selbstverstärkendes System.

Es macht mich einfach nur wütend zu hören, dass kurz vor einer Wahl noch alle möglichen Parteifreunde befördert und auf Posten gesetzt werden, in denen sie unkündbar und gut abgesichert sind. Und da diese dann über die nachfolgenden Menschen mit bestimmen, dreht sich diese Spirale endlos. Es gibt Menschen in unserem politischen System, die nur das kennen, die noch nie etwas anderes gesehen haben. Die Konsequenz daraus ist, dass dieses System keine Erneuerung von außen bekommen kann. Es dreht sich nur um sich selbst und nimmt keine externen Impulse auf. Das ist, auf lange Sicht, der Tod des Systems.

Wenn sich ein Unternehmen nur noch mit sich selbst beschäftigt, aber die Kunden und restliche Außenwelt ignoriert, ist es klar, wohin es führt. Die aktuellen Wahlergebnisse, die vorher nicht mal denkbare Realität, dass Donald Trump Präsident der USA wurde, all das ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis der Wahrnehmung, dass Politik und Realität der Menschen nur wenige Berührungspunkte haben.

Das Menschenbild mancher Politiker ist auch zweifelhaft

Vielleicht trägt dazu auch bei, dass es umgekehrt nicht anders wahrgenommen wird. Mir ist völlig schleierhaft, warum die Einstellung von 1600 Inspektoren zur Kontrolle des Mindestlohns notwendig war. Ich kenne kaum einen Unternehmer, der tatsächlich gegen Mindestlohn ist. Und nicht einen, bei dem eine Kontrolle irgendwas zu Tage fördern würde. Nur die Bürokratie müssen wir ausbaden. Selbst betrifft es mich dankbarerweise kaum – ich habe “nur” drei Monate Zeit und vier verschiedene Anlaufstellen gebraucht, um abschließend zu klären, ob ein bestimmtes Praktikum mindestlohnpflichtig ist, oder nicht. Das sagt viel darüber aus, wie viel Bürokratie wirklich dabei ist. Die Einstellung der Inspektoren sagen mir letztlich nur eines: „Hallo, schön dass Du Arbeitsplätze schaffst und (mehrfach) Steuern zahlst. Ist auch nett, dass Du meinen Lohn und meine Altersvorsorge mitträgst. Ach, übrigens, ich traue Dir nicht. Also führ brav Buch und wenn Du auch nur einen, vielleicht unabsichtlichen, Fehler machst, steht schon mein Inspektor bereit“. Das ist keine gute Basis für die Zusammenarbeit.

Ich denke es gäbe genug Bereiche, wo 1600 schnell bewilligte Stellen mehr bringen. Kindertagesbetreuung, die immer noch nicht in der Realität des 21. Jahrhunderts angekommen ist, zum Beispiel. Oder in Sprachkursen für Flüchtlinge. Es gibt da eine Menge Optionen. Die gewählte erschließt sich mir jedenfalls nicht.

Und warum machst Du es nicht besser?

Diese Frage habe ich mir schon öfter gestellt. Ja, ich habe mit dem Gedanken gespielt. Ich glaube aber, dass der Preis, den ich dafür zahle, zu hoch ist. Auf kommunaler Ebene kann man noch als Einzelkandidat etwas erreichen. Ab Landesebene ist es ohne Partei illusorisch.

Nun kenne ich viele Menschen, die in Parteien sind, und lese auch die Aussagen von Politikern, die sich damit decken: In einer Partei ist der echte Diskurs nicht wirklich oder nur sehr begrenzt gewünscht. Es geht nicht darum, was Du zu sagen hast, oder was Du kannst, sondern darum, ob Du die Partei lange genug unterstützt hast. Etwas plakativ, klebe Plakate, dann darfst Du mal Delegierter sein, dann in den Vorstand, dann vielleicht in die Landespolitik, dann die Bundespolitik… Das möchte ich nicht.

Ich möchte nicht Positionen vertreten, die ich für Quatsch halte, nur weil sie so beschlossen wurden. Ich möchte nicht an meinem Einsatz für den Verein gemessen werden, sondern an dem, was ich sage und vor allem tue. Und, am wichtigsten, ich will Dinge bewegen – das ist das, warum ich gerne Unternehmer bin. Ich kann gestalten, das System verändern, eine bessere Zukunft schaffen. In kleinem Rahmen, zugegeben. Aber ich finde mich darin wieder.

In einem System, in dem Zeit und Unterstützung der „richtigen“ Personen mehr zählt als Inhalt sehe ich mich nicht. Wenn die einzige Chance, in eine gestalterische Position zu kommen ist, vorher diese Gestaltungsmöglichkeit lange Zeit aufzugeben, passt das für mich nicht.

Und so wurde aus mir ein politikverdrossener Politologe

Ich finde das eigentlich alles traurig. Ich habe mittlerweile keine Lust mehr auf die Nachrichten, auf politische Diskussionen oder die nächste Wahl. Wenn man bedenkt, von welchem Interessensniveau ich komme, sollte es einem Angst und Bange werden. Was ist denn dann mit all den Leuten, die Politik eh schon skeptisch sahen?

Aber was ist zu tun? Nun, zuallererst vielleicht mal sehen, dass es ein Problem gibt. Das ist, solange es uns gut geht, vielleicht schwer. Aber wichtig. Und dann mal etwas größer denken.

Ich zum Beispiel würde sehr ernsthaft mal darüber nachdenken, die Zeit als Politiker generell zu begrenzen. Und auch die daraus resultierenden Versorgungszahlungen. Beides zum Beispiel auf zwei Legislaturperioden. Das könnte helfen, dem System mehr frisches Blut zuzuführen und die Folgen schlechter Entscheidungen, die es immer geben wird, abzumildern. Mal abgesehen davon könnte man dann viel öfter von interdisziplinären Teams und neuen Denkansätzen profitieren.

Oder endlich mal über einen großen Wurf bei den Steuern nachdenken, statt immer neue einzuführen oder sie zu erhöhen. Ich fand die Idee von Flat Tax immer reizvoll, und auch sehr gerecht. Ohne dazu Zahlen oder Expertise zu haben denke ich, dass bei gleichzeitiger Abschaffung aller Ausnahmeregelungen sogar gleich viel oder mehr im Staatssäckel landen könnte. Und wir würden unendliche Mengen an Geld sparen, die derzeit in der zugehörigen Bürokratie stecken. Vielleicht ist auch die Art der Steuern zu überdenken. Ich bin beileibe kein Fachmann, aber die gibt es ja durchaus.

Das sind nur zwei Denkansätze, die natürlich nicht ausgefeilt sind. Jede Veränderung beginnt aber mit einem Impuls. Ich glaube, es wird Zeit für größere Änderungen, sonst gibt es irgendwann das, was man gestalten wollte, gar nicht mehr.

 

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