Vorab eine Entschuldigung von meiner Seite. Blog und Podcast haben 2019 stark gelitten. Die Gründe greife ich (toi, toi, toi) bald in einem eigenen Artikel und Podcast auf. Das Jahr 2020 möchte ich aber mit einem anderen Thema starten, das mich schon länger bewegt. Es geht dabei um die Frage, ob etwas, weil es schon immer so war, auch so bleiben sollte. Im heutigen Beispiel geht es um die Kindertagesbetreuung.

“Nicht zu glauben“

Das waren die Worte meiner Freundin Emma aus England, als sie uns zuletzt besuchte. Das Gespräch kam irgendwie auf die KiTa. Als ich ihr erzählte, dass die KiTa‘s in Deutschland oft mehr Schließtage haben, als die Arbeitnehmer Urlaub, war das ihre Reaktion. Die weiteren Worte verschweige ich mal, damit ich überhaupt noch in Google auftauche – sie waren deutlicher.
Sie erzählte mir, dass in England Kindertagesstätten zwei bis drei Tage im Jahr geschlossen sind, nämlich an Weihnachten. Das hat mich zum Nachdenken gebracht, denn irgendwie hängt die Wirklichkeit hier der Lebensrealität vieler Eltern hinterher.

Drei Wochen hier, zwei Wochen da – es summiert sich

Meine KiTa hat, alles in allem, ca. sechs Wochen pro Kalenderjahr geschlossen. Sommer- und Weihnachtsferien sind die dicken Brocken, dazu kommen viele Brücken- und Weiterbildungstage.
Das macht ca. 30 Schließtage pro Jahr und entspricht damit dem durchschnittlichen Jahresurlaub eines Arbeitnehmers. Hinzu kommen Öffnungszeiten, die bei uns schon ganz gut sind (7 – 17 Uhr), aber dennoch bei weitem nicht alle Bedarfe von Eltern abdecken.
Diese Organisation ist faktisch „schon immer so“, aber ist sie deswegen auch richtig?

Die Folgen sind für viele Eltern spürbar

30 Tage im Jahr ohne Kindertagesbetreuung bedeutet, dass viele Eltern ihren gesamten Jahresurlaub anhand der KiTa ausrichten müssen. Das bedeutet natürlich auch, dass Urlaube ausschließlich in der Hauptsaison liegen und damit teuer sind. In vielen Familien leben Oma und Opa, auf die gerne verwiesen wird, nicht in der Nähe oder stehen aus anderen Gründen, nicht selten der eigenen Berufstätigkeit, nicht als Betreuungsoption zur Verfügung.
Auf der anderen Seite trifft das gleiche auf die KiTa‘s und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu. Auch diese haben faktisch feste Urlaubszeiten, die in der Hauptsaison liegen. Die Geldbeutel werden dann für einen Familienurlaub geleert, obwohl nur wenige Wochen vor- oder nachher die Preise purzeln.

Es hängt, wie immer, am Geld

So richtig glücklich macht das, soweit ich höre, niemand. Schichtdienstleistende sind durch relativ restriktive Öffnungszeiten limitiert, die Urlaube richten sich anhand der KiTa aus, und viel Geld kostet es dazu. Dazu kommen völlig unterschiedliche Modelle der Bezahlung – würde ich nur 10 km weiter östlich wohnen, wäre meine KiTa kostenlos.
Und alles hängt, wie so oft, am Geld. Um länger und öfter zu öffnen, bräuchten Kindertagesstätten viel mehr Personal. Personal kostet Geld. Das ist kein Geheimnis und es wird gerne darauf verwiesen.
Allerdings könnten wir uns, als Volkswirtschaft und Wähler, auch mal fragen, ob das sinnvoll ist. Ohne Kindertagesbetreuung, die sich an der Lebensrealität ausrichtet, erleiden wir volkswirtschaftlich großen Schaden, gerade in Zeiten des Mangels an Fachkräften. Arbeitnehmer müssen ihre Arbeitszeit und ihre Weiterbildung mit der Frage der Familienplanung abwägen. All das kostet uns, indirekt, ebenfalls viel Geld – und das während beispielsweise der Cum-Ex-Skandal nicht richtig verfolgt wird und wir Unsummen an Geld an anderen Stellen verschwenden. Das Schwarzbuch der Steuerzahler lässt grüßen.

Zeit, neu zu denken

Zeitgemäßes Handeln bedeutet einen Abschied von Althergebrachtem. Es reicht nicht, dass Eltern sich einem alten System anpassen. Wenn das System fehlerhaft ist, muss es in Frage gestellt werden. Deshalb frage ich mich beim vielen Themen: Nur weil es immer so war, muss es dann auch immer so bleiben?
Als Volkswirtschaft geben wir jedes Jahr Milliarden für teils fragwürdige Zwecke aus und lassen uns an anderer Stelle Milliarden entgehen. Wir haben ein Steuersystem, das nicht nur hochkomplex ist, sondern zudem auch den Faktor Arbeit massiv belastet. Viele Menschen zahlen große Mengen an Steuern und Abgaben, währenddessen Zocker und Taschenspielerei belohnt werden.
Aber das Geld für die Zukunft dieses Landes haben wir nicht? Das will mir nicht einleuchten.

Welche Dinge begegnen Dir im Alltag, bei denen Du Dich fragst, ob es richtig ist, nur weil es schon immer so war? Lass es mich gerne wissen – die Ferienzeiten von Schülern wären sicher ein Thema für einen eigenen Artikel. Ich mag mir im Moment noch nicht ausmalen, wie das geleistet werden soll.

*Bildquelle: S.v.Gehren / pixelio.de*

6 Kommentare
  1. Christoph
    Christoph sagte:

    Lieber Jan,

    ich muss schon sagen, dass ich sehr enttäuscht bin. Deine These hast du schlecht recherchiert und neutral beschäftigt sich dein Artikel ja auch nicht mit dem Thema. Deshalb ist es also auch für mich in Ordnung einen speziellen Blickwinkel, so wie du, einzunehmen. Deiner ist der des Vaters der sein Kind möglich lange in die Kita bringen will. Meiner ist der eines Vaters dessen Frau seit langen Jahren eine Erzieherin ist und den stetigen Wandel miterlebt und -was noch viel wichtiger ist- neben deinem auch hunderte von anderen Kindern und Eltern. Also technisch gesehen vergleichen wir deine Eindrücke und die deiner Bekannten mit Leuten die das hundertfach und seit Jahren erleben.
    Komisch…wenn wir ein Haus bauen gehen wir nicht zum Bekannten der das einmal gemacht hat und lassen es von ihm planen, sondern vom Architekten, der das schon hundertfach gemacht hat. Aber so schnell verschiebt sich in unserer Gesellschaft heute das Thema Mitsprache.

    Nun aber zu meinem Kern kurz und knapp: Es ist eigentlich geregelt, dass jedes Kind einen Pflichtanspruch auf Urlaub hat, so wie deine Arbeitnehmer. Wenn deine Kita ausser an Weihnachten immer auf hat, müsstest du dein Kind trotzdem zur Erholung einige Wochen aus der Kita nehmen. Und dann?
    Und genau da liegt der Punkt: dass die meisten Eltern bereit sind ihr Kind länger in Betreuung zu lassen als sie selbst arbeiten (ich gehe davon aus, dass jeder schön seinen Jahresurlaub in Anspruch nehmen möchte, auch du) finde ich einfach nur krass.
    Dass die Eltern damit einfach alles kompensieren und auf nichts verzichten wollen, das darf man nicht sagen. Dann heißt es man sei von vorgestern und die Zeiten haben sich schließlich geändert und wir sind keine Hausfrauengeneration mehr. Das stimmt.
    Wir sind eine Generation geworden, die alles kaufen und erfahren möchte. Karriere mit Kind, Hund und Kegel zur Not überwacht der Helikopter alles. Steuern aus der Vogelperspektive und alle drumherum müssen mitmachen. Auch die Institutionen sollen sich dem gefälligst beugen. Ja, es ist alles schon sehr selbstgefällig geworden.
    Und eines kann ich sagen: es ist immer dasselbe. Man interessiert sich immer erst dann dafür wenn man ein Kind hat und auch nur so lange bis es den Kindergarten verlässt. Dann wird zum neuen Thema geswitcht: Schule. Bin mir sicher, dass dich das bislang noch nicht interessiert. Aber warte ab, bald ist es soweit und es wird seeeehr lange dauern und da wirst du dann einige Artikel mehr schreiben müssen.

    Man möchte eigentlich sagen: anprangern naja…was ist denn dein konkreter nicht-subjektiver Vorschlag?
    Denn deine Anforderung ist krass: Bedarf ausserhalb von 7 bis 17 Uhr, keine Schliesstage und ich nehme an: am besten kostenlos. Naja, momentan betreut eine Erzieherin 10-12 Kinder. Wenn man dann einberechnet dass es keine Schliesstage mehr geben soll und wahrscheinlich hast auch du einen gewissen pädagogischen Anspruch und es fehlen Stellen. Naja, merkste wa?

    Ganz ehrlich: dein Artikel liest sich wie eine Provokation und eine Stellungnahme der “Achtung-jetzt-komme-ich”-Fraktion. Schade. Sehr sehr schade.

    Gruß
    Christoph

    Antworten
  2. Jan Hossfeld
    Jan Hossfeld sagte:

    Lieber Christoph,

    mir erschließt sich nicht unbedingt alles, was Du in meinen Beitrag hineininterpretierst – im Grunde stimme ich Dir zu, wenn ich sicherlich auch einiges nicht ausgeführt habe, es aber doch so meinte. Aber der Reihe nach:

    Einen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit mit entsprechender Recherche erhebe ich nicht. Es ist eine Meinung. Dadurch ist natürlich auch nicht klar, ob und wie der aktuelle Personalschlüssel überhaupt erreicht wird.

    Was aber klar ist, und da sind wir klar einer Meinung, ist, dass es Geld braucht. Denn alles, was ich mir so wünsche, kostet Geld – in Form von Personal. Flexiblere Öffnungszeiten brauchen mehr Personal, weniger Schließtage ebenfalls. Flexiblere Urlaubszeiten auch und gerade für Erzieherinnen und Erzieher hängen ebenfalls davon ab.

    Was ich definitiv zurückweise ist die Unterstellung, ich wolle mein Kind dauernd abgeben. Ganz im Gegenteil, ich möchte meinen Urlaub mit Kind machen, und es auch so einfach ununterbrochene Zeit mit ihm verbringen. Mit dem kleinen Aber, dass ich gerne wählen möchte, *wann* ich das tue – Hauptsaison, Nebensaison, Herbst oder Frühling statt Sommer oder Winter… all das ist nur dann möglich, wenn die oben genannten Bedingungen (im Wesentlichen viel mehr Personal) erfüllt sind. Der kleine Bonus ist, dass es dann auch auf ebenjenes zutrifft. Aktuell sind Erzieherinnen und Erzieher ja ebenfalls mit ihrem Urlaub an fixe Zeiträume gebunden.

    Kurz gesagt, ich wünsche mir mehr Flexibilität für *alle* Beteiligten. Und ja, gerne unter der Auflage, dass Kinder ein Mindestmaß von X Wochen nicht in der KiTa sind, auf jeden Fall! Ein schönes Beispiel sind die Brückentage. Klar, viele Arbeitnehmer nehmen die eh frei, also passt es auch für die Kita ganz gut. Ich aber zum Beispiel nutze Brückentage gerne für unterbrechungsfreies Arbeiten. Mit anderen Worten, das System zwingt mich in ein Raster, in das ich nicht passe. Oder passen möchte. An Brückentagen braucht es sicherlich bei flexiblerer Gestaltung weniger Personal in der KiTa – generell zumachen allerdings ist, aus meiner Sicht, nicht mehr zeitgemäß. Und das trifft ja auch nicht nur auf mich zu – Feuerwehr, Krankenhaus und Co, all das muss ja an Brückentagen auch besetzt sein. Diese Menschen haben auch Kinder, und vielleicht keine Familie in der Nähe.

    Es hängt jedenfalls alles am Geld. Ich erwarte da auch keine Kostenloskultur, aber wenn ich sehe, was alles so bezahlt wird, könnte man sagen: “Warum denn nicht gerade die Kindertagesbetreuung?”. Ein Beispiel: Die Reform für Soldaten (kostenlose Bahnfahrten) ist sicherlich in Ordnung. Was ich aber gar nicht nachvollziehen kann, ist warum diese dann die volle Pendlerpauschale weiterhin ansetzen können – das ist absurd und nimmt dem Staat Geld. Cum-Ex, Finanztransaktionssteuer und unendlich viele andere Beispiele gibt es dazu. Mit diesem Geld wäre viel möglich: Bessere Entlohnung des KiTa Personals, mehr Stellen, vielleicht auch mal Förderprogramme für mehr männliche Erzieher (noch etwas auf meiner Wunschliste)…

    Und wenn man dann noch vielleicht drüber nachdenkt, Plätze eher nach echtem Bedarf (=hat Arbeit) zu vergeben, könnte das auch helfen.

    Nur mal als kleine Gedankensammlung. Im Großen und Ganzen hast Du den zentralen Punkt gut ausgeführt: Es braucht viel, viel mehr Personal. Die Unterstellung, es geht darum “abzuschieben”, nur weil man nicht mit festen Schließzeiten in absurdem Maß einverstanden ist, weise ich zurück. Und ich denke, viele Menschen in KiTas wären auch froh, ihren Jahresurlaub anders und flexibler legen zu können. Das ist das zentrale Thema des Beitrags: Flexibilität, statt starre althergebrachte Muster.

    Liebe Grüße an die Freundin, ich bewundere alle, die diesen Job machen!

    PS: Und ja, Schule ist auch ein Thema. 12-14 freie Wochen pro Jahr – im Ernst? Warum? Und wie soll man das abdecken, wenn Oma und Opa nicht gerade können? Es tun, weil es immer so war, ist keine valide Antwort.

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